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Derivate

Verstehen, anwenden und bewerten

von Martin Bösch (Autor:in)
387 Seiten

Zusammenfassung

„Man wird definitiv nicht enttäuscht und erhält einen sauberen, umfassenden Überblick über das Thema. Was ich v.a. schätze, ist, dass es dem Autor gelingt, auf der einen Seite sehr verständlich Wissen zu vermitteln, das, auf der anderen Seite, jedoch nicht an der Oberfläche kratzt, sondern in einem umfassenden Kontext eingebettet ist. Man hat das Gefühl, das Buch nimmt einen an die Hand, läuft mit einem durch den Derivate-Zoo mit inbegriffener ´Tierkunde´ und passt dabei auf, dass man nicht stolpert.“
Ein Bamberger Student auf Amazon.de


Dr. Martin Bösch ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule in Jena mit dem Schwerpunkt Finanzwirtschaft. Er ist ebenfalls Autor des bei Vahlen erscheinenden Lehrbuches „Finanzwirtschaft“. Zuvor war er viele Jahre in leitender Funktion im Investmentbanking im Bereich Derivate und im Transaction Banking der HypoVereinsbank tätig.


Dieses Lehrbuch stellt die wichtigsten Derivate vor, die derzeit an den Märkten gehandelt werden: Optionen, Futures, Forwards und Swaps. Kreditderivate werden aufgrund ihrer großen und aktuellen Bedeutung in einem eigenen Abschnitt behandelt. Der Untertitel „Verstehen, anwenden und bewerten“ beschreibt dabei den Ansatz dieses Buches:
Verstehen: Zunächst geht es darum, die behandelten Derivate in ihrer Grundstruktur zu verstehen. Warum werden sie eingesetzt? Was wird bei den jeweiligen Derivaten eigentlich genau gekauft oder verkauft? Welche Chancen und Risiken entstehen dabei für die Käufer und Verkäufer? Wie ist der Ablauf eines solchen Handelsgeschäfts und wo bzw. wie können die Derivate gehandelt werden?
Anwenden: Nur wer Derivate auf konkrete Fragestellungen anwenden kann, hat sie wirklich verstanden. Das Buch legt deshalb großen Wert auf die Anwendung und den Einsatz der jeweiligen Derivate für konkrete Frage- und Problemstellungen.
Bewerten: Wie wird der Preis von Derivaten ermittelt? Wie viel sollte eine bestimmte Option, ein Forward oder ein Zinsswap kosten? Dabei werden einerseits die Einflussfaktoren auf den Wert der jeweiligen Derivate erläutert und andererseits der konkrete Berechnungsvorgang hinter der Preisermittlung transparent gemacht.


Aus dem Inhalt:
Teil A: Grundlagen
Teil B: Optionen
Teil C: Forwards und Futures
Teil D: Swaps
Teil E: Kreditderivate
Teil F: Brauchen wir Derivate?


Leser finden auf www.vahlen.de/29669150 die Lösungen zu den Aufgaben im Buch.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


XVIIVerwendete Abkürzungen

AW

Ausfallwahrscheinlichkeit

B

Basispreis (= Ausübungspreis)

fxm001

Preis eines amerikanischen Calls mit Basispreis B

cB

Preis eines europäischen Calls mit Basispreis B

− CB

Verkauf eines Calls mit Basispreis B (Short Call)

+ CB

Kauf eines Calls mit Basispreis B Long Call)

cs

Credit Default Spread (Credit Default Prämie in %)

CTD

Cheapest to Deliver

D

Barwert einer Dividendenzahlung

E

Barwert des Ertrags des Basiswerts

e

Ertragsrendite des Basiswerts

EV(%)

Erwarteter Verlust in %; Kreditrisikoprämie in %

FT

Future/Forwardpreis zum Zeitpunkt T

iT

Kreditzins mit Laufzeit T

K

Kassapreis (Kassakurs) des Basiswerts

K*

Aktueller Kassapreis (Kassakurs) des Basiswerts

KCTD

Kassakurs der CTD-Bundesanleihe

m

Verzinsungshäufigkeit

N

(fiktiver) Nominalwert eines Swap; Nominalwert einer Anleihe

OP

Optionsprämie

pB

Preis eines europäischen Puts mit Basispreis B

fxm002

Preis eines amerikanischen Puts mit Basispreis B

+ PB

Kauf eines Puts mit Basispreis B (Long Put)

− PB

Verkauf eines Puts mit Basispreis B (Short Put)

rT

Äquivalenter Jahreszinssatz für ausfallsichere Kredite (risikoloser Zinssatz) mit Laufzeit T

sT

Swapsatz für die Laufzeit T

T

Zeitdauer in Anteilen oder als Vielfaches eines Jahres

UF

Umrechnungsfaktor (Konvertierungsfaktor)

ÜW

Überlebenswahrscheinlichkeit

Vol(x)

Volatilität (Standardabweichung) einer Variablen x

V(Swap;t)

Wert eines Zinsswaps zum Zeitpunkt t

W(Swap;t)

Wert eines Währungsswaps zum Zeitpunkt t

Zt

Zahlung bzw. Kuponzahlung zum Zeitpunkt t

Δ

Bezeichnet die Änderung einer Variablen

 

1Teil A

Grundlagen

Das lernen Sie in diesem Teil des Buches

  • Was sind Derivate?
  • Was ist der Unterschied zwischen dem Finanzmarkt und dem Markt für Derivate?
  • Was versteht man unter Kassamarkt und Terminmarkt und wie hängen Terminmärkte und Derivate zusammen?
  • Welche wichtigen Einsatzmöglichkeiten für Derivate gibt es?
  • Was sind die wesentlichen Motive für die Nutzung von Derivaten?
  • Was unterscheidet ein Börsengeschäft von einem OTC-Geschäft?
  • Welche Risikoarten gibt es, wie kann Risiko gemessen werden und welche Risiken können mit Derivaten handelbar gemacht werden?
  • Wie werden der Barwert und der Kapitalwert von zukünftigen Zahlungen bestimmt? Welche Modifikationen ergeben sich, wenn unterjährige Zahlungen betrachtet werden?
  • Was ist eine normale Zinsstrukturkurve?
  • Von welchen Komponenten wird die Höhe des Kreditzinssatzes für einen Schuldner bestimmt? Was bestimmt die Kreditrisikoprämie?

 

13Finanzmarkt und Markt für Derivate

1.1Transfer von Finanzmitteln

Wenn Sie als Privatperson in einem Jahr 1.000 Euro mehr Einnahmen als Ausgaben haben, können Sie die nicht benötigten Finanzmittel ansparen und einer Wirtschaftseinheit zur Verfügung stellen, die Finanzmittel benötigt. Es gibt dabei vielfältige Anlagemöglichkeiten und viele Finanzinstitute, die Ihnen hierfür ihre Hilfe anbieten. Sie können Ihre nicht benötigten Finanzmittel z. B. in Form von Termineinlagen einer Bank zur Verfügung stellen. Die Bank wird damit ihrerseits Kredite an andere Wirtschaftseinheiten finanzieren. Sie können Unternehmensanleihen oder Anleihen der Bundesrepublik Deutschland kaufen, wodurch Sie zum Gläubiger der emittierenden Unternehmung bzw. zum Gläubiger der Bundesrepublik Deutschland werden. Sie können eine riskantere Anlageform wählen und Aktien einer Unternehmung erwerben. Damit werden Sie zum Miteigentümer und nehmen am unternehmerischen Erfolg und Risiko teil. Sie können Ihre nicht benötigten Finanzmittel auch in Form einer Lebensversicherung anlegen oder einen Investmentfonds kaufen. Die Versicherung und die Investmentgesellschaft werden ihrerseits die Finanzmittel für die Käufe von Anleihen, Aktien oder Immobilien verwenden.

Über welche Finanzanlageprodukte und Finanzinstitutionen auch immer Ihre Finanzmittel wandern, am Ende der Kette finanzieren Sie mit Ihrer Ersparnisbildung eine Wirtschaftseinheit, deren Ausgaben die Einnahmen der laufenden Periode übersteigen. Die wichtigste Funktion des Finanzmarkts ist es somit, eine Brücke zwischen dem Finanzmittelangebot und der Finanzmittelnachfrage unterschiedlicher Wirtschaftseinheiten zu schlagen. Unter Finanzmarkt verstehen wir dabei nach Abbildung A-1 alle Finanzinstitutionen, alle Finanzmarktprodukte und alle Teilmärkte, die dazu einen Beitrag leisten.

 

Der Kapitalmarkt umfasst alle Finanzprodukte für langfristiges Kapital. Die wichtigsten Produkte hierfür sind Aktien und Anleihen.

4Der Geldmarkt unterscheidet sich vom Kapitalmarkt hinsichtlich der Fristigkeit der überlassenen Finanzmittel. Sie reicht bis zu einem Jahr. Typische Anlageprodukte auf dem Geldmarkt sind Termineinlagen oder Tagesgeld bei Banken.

Bei den Kreditmärkten handelt es sich schwerpunktmäßig um die Kreditvergabe von Banken an Privathaushalte und Unternehmungen. Während der Kapitalmarkt nur Kredite umfasst, die in Urkundenform verbrieft und dadurch an Börsen handelbar gemacht worden sind (Anleihen), werden auf den Kreditmärkten vorwiegend unverbriefte Einzelverträge zwischen den beteiligten Akteuren abgeschlossen. Beispiele sind Bankdarlehen oder Immobilienkredite.

Die Grenzen zwischen den drei betrachteten Märkten sind fließend und einige Finanzprodukte können nicht immer nur einem einzigen Segment zugerechnet werden.

Finanzmärkte existieren in vielen Währungen. Wenn Sie den amerikanischen Finanzmarkt in US-Dollar oder den japanischen Finanzmarkt in Yen nutzen wollen, müssen Sie Währungen auf dem Devisenmarkt tauschen. Wir können den Devisenmarkt daher als Teilmarkt des Finanzmarkts interpretieren.

Der Finanzmarkt ist aus volkswirtschaftlicher Sicht von enormer Bedeutung. Unternehmungen könnten einen Großteil ihrer gewünschten Investitionen nicht vornehmen, wenn sie nicht über den Finanzmarkt die dafür benötigten Finanzmittel aufnehmen könnten. Entsprechend negativ wären die Folgen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Die Finanzmarktkrise 2007 hat uns einen Blick in den Abgrund werfen lassen, der sich ohne funktionierenden Finanzmarkt auftut.

Der Finanzmarkt ist auch aus Sicht jedes Einzelnen von großer Wichtigkeit, da er ein zeitliches Auseinanderlaufen von Konsum und Einkommen erlaubt. Im Ansparprozess kann dabei jeder Einzelne entscheiden, welches Anlagerisiko er eingehen will. Das Spektrum reicht von risikoarmen Bankeinlagen oder dem Kauf von kaum ausfallgefährdeten Bundesanleihen bis hin zum Kauf von Aktien oder dem riskanten Anleihekauf von insolvenzgefährdeten Unternehmungen und Staaten, wie die Staatsschuldenkrise in Europa zeigt. Je höher das Anlagerisiko ist, desto höher wird der Verzinsungsanspruch eines Anlegers sein.

1.2Transfer von Risiken

Der Transfer von Finanzmitteln zwischen Wirtschaftseinheiten stellt den Kern des Finanzmarkts dar. Im Gegensatz dazu ist der Kern des Marktes für Derivate der Transfer von Risiken zwischen Wirtschaftseinheiten. Machen wir uns an vier kleinen Beispielen klar, was damit gemeint ist:

Forwardgeschäfte auf Zinssätze: Eine Unternehmung benötigt in einem halben Jahr einen Kredit. Sie befürchtet in den nächsten Monaten allerdings einen Zinsanstieg. Mithilfe von sogenannten Forwards[1] kann sich die Unternehmung aber bereits heute den Zinssatz sichern, den sie in einem halben Jahr für ihren dann notwendigen Kredit zahlen muss. Damit wird ihr Zinssteigerungsrisiko auf den Vertragspartner übertragen.

5Forwardgeschäfte auf Lebensmittel: Forwardgeschäfte können nicht nur für Finanzprodukte, sondern für viele andere Gegenstände abgeschlossen werden. Stellen Sie sich einen Bauern vor, der gerne einen Teil der geplanten Getreideernte des nächsten Jahres zu einem bereits heute vereinbarten Preis verkaufen möchte, um sich gegen mögliche Preisrückgänge bei Getreide abzusichern. Das Instrument hierfür ist wiederum ein Forwardgeschäft. Falls das Geschäft über eine Börse abgewickelt wird, ändert sich der Name: man spricht dann von einem Futuregeschäft.

Swap: Swap heißt übersetzt „Tausch“. Tatsächlich einigen sich zwei Handelspartner darauf, einen Gegenstand zu tauschen und am Ende der vereinbarten Frist wieder zurückzutauschen. Stellen Sie sich dazu vor, dass Sie auf eine Faschingsfeier gehen wollen und ein Piratenkostüm haben, das Ihnen aber nicht mehr gefällt. Ihr Freund hat ein Clownkostüm und will ebenfalls auf die Feier. Sie könnten nun einen Kostümtausch („Kostümswap“) abschließen, indem Sie für den Abend das Clownkostüm Ihres Freunds nutzen und Ihr Freund im Gegenzug Ihr Piratenkostüm. Am nächsten Morgen werden die Kostüme wieder zurückgetauscht. Übertragen wir den Tausch auf eine finanzwirtschaftliche Problemstellung: Eine deutsche Versicherung möchte britische Aktien in Höhe von 10 Mio. britischen Pfund kaufen, weil sie einen Kursanstieg in den nächsten 12 Monaten erwartet. Gleichzeitig befürchtet sie aber einen Kursrückgang des britischen Pfunds, was den Anlageerfolg entsprechend reduzieren würde. Mithilfe eines Währungsswaps kann sie das mit dem Aktienkauf verknüpfte Währungsrisiko ausschalten. Hierzu tauscht sie mit einem Handelspartner den relevanten Eurobetrag zunächst in 10 Mio. britische Pfund. Gleichzeitig vereinbaren die Handelspartner, dass die Versicherung in einem Jahr die 10 Mio. Pfund wieder in den ursprünglichen Eurobetrag zurücktauschen kann. Mit dieser Tauschvereinbarung ist das Währungsrisiko für die Versicherung verschwunden, da sie nach einem Jahr wieder ihren ursprünglich zur Verfügung gestellten Eurobetrag zurückerhält.

Optionen: Sie würden gerne Aktien kaufen, um die damit verbundenen Kurschancen zu nutzen, fürchten sich aber vor möglichen Kursverlusten. Mithilfe von sogenannten Optionen können Sie die Kursverlustrisiken gegen Zahlung einer einmaligen Prämie für eine begrenzte Zeit abgeben. Sie transferieren damit die Kursverlustrisiken auf jemanden, der bereit ist, diese Risiken gegen Erhalt ihrer Prämie zu übernehmen.

In allen vier Beispielen stehen nicht Finanzierungsfragen im Mittelpunkt, sondern der Transfer von Risiken zwischen Handelspartnern. In allen Fällen erfolgt der Transfer der Risiken mithilfe hierzu geeigneter Derivate, die wir in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich darstellen werden.

Das Wort „Derivat“ lässt sich auf den lateinischen Begriff „derivare“ zurückführen. Übersetzt heißt es so viel wie „ableiten“ oder „zurückführen auf“. Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass sich der Preis eines Derivats immer auf den Preis des Gegenstands zurückführen lässt, auf den sich das Derivat bezieht. Wir nennen dabei den Gegenstand, auf den sich das Derivat bezieht, „Basiswert“. In unseren vier kleinen Beispielen hatten wir als Basiswerte einen Zinssatz, Getreide, das britische Pfund und Aktien.

Derivate haben einen Preis und können häufig an Börsen gehandelt werden. Man spricht dann von börsennotierten Derivaten. Werden Derivate hingegen zwischen Handelspartnern in Einzelvereinbarungen gehandelt, spricht man von einem „Over-The-Counter“-Geschäft, abgekürzt mit OTC.

6Lassen Sie sich von den vielen verwirrenden Bezeichnungen für Derivate nicht beeindrucken. So unterschiedlich die Bezeichnungen und Anwendungen im Einzelfall sein mögen: Im Kern handelt es sich bei Derivaten jeweils um heute getroffene Vereinbarungen, zu welchen Konditionen ein bestimmter Gegenstand, unser Basiswert, zu einem späteren Termin erworben, verkauft oder getauscht werden kann. Derivate werden deshalb häufig auch als Termingeschäfte bezeichnet. Ein Student hat mich mal gefragt, ob man von einem Derivat auch dann sprechen kann, wenn heute ein Sack Kohlen für das nächste Jahr bestellt wird. Die Antwort lautet: ja, sofern der Preis für den Sack Kohle bereits heute vereinbart wird.

1.3Kassageschäft und Termingeschäft

Wenn Sie auf dem Flohmarkt eine Vase kaufen, dann erhalten Sie Ihre Vase, wenn Sie dem Händler den vereinbarten Preis bezahlen. Der Vertragsabschluss, die Lieferung, Abnahme und Bezahlung erfolgen sofort. Märkte mit diesem Charakteristikum werden als Kassamarkt oder auch als Spotmarkt bezeichnet, das Geschäft selbst als Kassageschäft bzw. als Spotgeschäft. Wir dürfen dabei den Begriff „sofort“ nicht ganz wörtlich nehmen. Falls Sie anstelle einer Vase einen großen Schrank kaufen, dann ist es gut vorstellbar, dass der Schrank erst am nächsten Morgen geliefert wird. Dennoch würden wir von einem Kassageschäft sprechen.

Wenn Sie eine Aktie kaufen, dann kaufen Sie ebenfalls auf einem Kassamarkt, obwohl zwischen Vertragsabschluss (Kaufzeitpunkt an der Börse) und der Lieferung, Abnahme und Bezahlung in Deutschland zwei Tage liegen. Der Valutatag ist zwar zwei Arbeitstage nach dem Kauftag, doch handelt es sich bei den zwei Tagen um den schnellstmöglichen Zeitpunkt, innerhalb dessen die Lieferung, Abnahme und Bezahlung von Aktien abwicklungstechnisch erfolgen kann. Alle Finanzmarktprodukte haben klar definierte Zeiträume, in denen nach Vertragsabschluss die Übergabe und die Bezahlung erfolgen müssen. In den meisten Fällen liegen die Fristen bei zwei Tagen, nach denen die Geschäfte erfüllt sein müssen.

Das Gegenstück zu einem Kassageschäft ist ein Termingeschäft, bei dem der Vertragsabschluss auf der einen Seite und die Übergabe und Bezahlung des vereinbarten Gegenstands (= Basiswert) auf der anderen Seite zeitlich auseinanderfallen.

Termingeschäfte werden auf Terminmärkten vollzogen. Dabei gibt es für jedes Produkt, das auf einem Kassamarkt gehandelt werden kann, üblicherweise auch einen entsprechenden Terminmarkt. Dies können Metalle, Rohstoffe, Lebensmittel, 7Währungen oder Finanzmarktprodukte sein. Die genauen Konditionen des Geschäftsabschlusses werden dabei in dem spezifischen Derivat festgelegt und beschrieben.

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Abbildung A-2: Markt für Derivate

 

Die Abbildung fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen: Mit Derivaten können Risiken von bestimmten Basiswerten zwischen Wirtschaftseinheiten transferiert werden. Je nach Basiswert handelt es sich um Derivate auf Aktien, Derivate auf Anleihen, Derivate auf Währungen, Derivate auf Rohstoffe usw. Das konkrete Instrument regelt dabei die genauen Konditionen, zu denen die Basiswerte zu einem zukünftigen Termin gekauft, verkauft oder getauscht werden. Daher gibt es eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten wie Optionen auf Aktien, Optionen auf Anleihen, Optionen auf Währungen usw. Gleiches für Swaps auf Aktien, auf Anleihen, Forwardgeschäfte auf Aktien, auf Anleihen usw.

Stellen Derivate einen Teil des Finanzmarkts dar? Einige Derivate fallen sicherlich aus der Reihe, etwa Derivate auf Lebensmittel oder Metalle. Ob wir Finanzderivate, d. h. Derivate mit einem Finanzprodukt als Basiswert, nun als Teil des gesamten Finanzmarkts begreifen oder als eigenständigen Markt neben den Finanzmarkt stellen, ist müßig. Viel wichtiger ist zu verstehen, dass mit Finanzmarktprodukten Finanzierungs- und Anlageentscheidungen umgesetzt werden, während mit Derivaten Risiken zwischen Marktteilnehmer transferiert werden, die in den Finanzanlagen stecken.

Die Teilnehmer am Markt für Derivate stimmen weitgehend mit denen überein, die wir vom Finanzmarkt her kennen: Unternehmungen, Privatpersonen, Banken, Versicherungen, Investmentgesellschaften. Sie nutzen dabei aus unterschiedlichen Motiven die verfügbaren Derivate. Für den Einsatz von Derivaten können wir drei Grundmotive unterscheiden, die wir im Folgenden näher betrachten.

[1]Das englische Wort „Forward“ hat viele Bedeutungen. Eine davon ist Termin – im Sinne von zukünftigem Zeitpunkt. Ein Termingeschäft wäre demnach ein Forward Contract.

29Akteure und Handelsplätze

2.1Absicherer (Hedger)

Derivate können helfen, bestehende Risiken zu reduzieren oder ganz auszuschalten. Bauern können am Terminmarkt die Getreideernte des nächsten Jahres zu einem bereits heute vereinbarten Preis verkaufen und damit das Risiko sinkender Getreidepreise vermeiden. Eine Unternehmung wie die Lufthansa könnte einen Teil des benötigten Flugbenzins des nächsten Jahres bereits heute zu festen Konditionen einkaufen und so das Risiko steigender Kerosinpreise umgehen. Privatpersonen können ihre im nächsten Jahr geplante Immobilienfinanzierung zu Zinskonditionen abschließen, die bereits heute vereinbart werden und so befürchtete Zinssteigerungsrisiken meiden. Versicherungen, Privatpersonen oder Investmentgesellschaften können Aktien kaufen und gegen Zahlung einer Prämie das Risiko möglicher Kursrückgänge abtreten. Wir könnten die Liste beliebig fortsetzen. In all diesen Beispielen nutzen Akteure die derivativen Instrumente, um sich gegen mögliche Risiken abzusichern. Akteure, die sich mit Derivaten gegen bestehende Risiken absichern wollen, werden als Hedger bezeichnet, die Tätigkeit selbst wird „hedgen“ genannt.

Der Begriff „hedgen“ ist teilweise negativ besetzt und ich vermute, dass dies viel mit der sprachlichen Nähe zu Hedgefonds zu tun hat. Hedgefonds sind noch immer weitgehend unregulierte Fonds, die weder in ihren Anlagerichtlinien noch ihren eingesetzten Instrumenten stark eingeschränkt sind. Sie machen eigentlich das Gegenteil von dem, was ihr Name suggeriert: sie hedgen nicht, sondern sie nutzen Derivate vorwiegend spekulativ. Wenn wir im weiteren Verlauf des Buchs von hedgen sprechen, dann nutzen wir den Begriff aber immer in seiner eigentlichen Bedeutung, d. h. im Sinne einer Reduktion bestehender Risiken.

2.2Spekulanten

Wenn ein Teil der Marktteilnehmer Risiken weitergibt, dann muss es zwangsläufig eine Gruppe von Marktteilnehmer geben, die diese Risiken bewusst trägt. „There is no such thing like a free lunch“ war eine zentrale Überzeugung des amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Milton Friedman.[2] Nichts ist umsonst. Die Übernahme dieses Risikos kann nicht kostenlos sein, sondern hat einen wie auch immer definierten und berechneten Preis. Die Gruppe der Marktteilnehmer, die die Risiken der Absicherer bewusst und mit voller Absicht übernimmt, nennen wir Spekulanten. Sie nutzen Derivate, um auf für sie günstige Änderungen der Preise dieser Risiken zu spekulieren. So wie ein Aktienkäufer Aktien erwirbt, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem höheren Preis zu veräußern, so kaufen auch Marktteilnehmer Derivate, um 10sie anschließend zu einem höheren Preis zu verkaufen. Die Zeit zwischen Kauf und Verkauf kann dabei nur einige Minuten andauern, aber auch lange Zeiträume von einigen Jahren umfassen.

Spekulanten setzen Kapital ein und setzen es einem Verlustrisiko aus. Ändern sich die Preise gegen ihre Erwartungen, verlieren Sie einen Teil ihres eingesetzten Kapitals. Je besser ein Spekulant die zukünftige Entwicklung der für ihn relevanten Preise vorhersieht, desto erfolgreicher ist er.

Der Begriff „Spekulation“ ist im allgemeinen Sprachgebrauch vorwiegend negativ besetzt. Wir denken dabei an Spielkasinos, in denen sich Spieler um Haus und Hof bringen. Wir denken dabei auch an Spieler, die ein krankhaftes Suchtverhalten an den Tag legen und ohne den Kitzel des Spiels nicht mehr auskommen. Spielkasinos unterscheiden sich aber in einem zentralen Punkt von Derivaten: Die Risiken, die in einem Spielcasino eingegangen werden, existieren außerhalb des Spielcasinos nicht. Sie sind künstlich erzeugt und niemand ist diesen Risiken per se ausgesetzt. Anders bei Derivaten: Die Risiken, die mithilfe von Derivaten gehandelt werden können, existieren mit und ohne Derivate. Sie sind mit den jeweiligen Basiswerten fest verknüpft. Derivate helfen einen Teil dieser Risiken handelbar und übertragbar zu machen. Jedem Absicherer steht dabei häufig ein Spekulant gegenüber. Die Abgabe von Risiken ist nur möglich, wenn ein anderer Akteur diese Risiken aufnimmt. Dabei kann die Nutzung der Derivate allerdings für beide Seiten vorteilhaft sein. Wir werden im Laufe des Buchs viele Beispiele dafür finden. Wenn ein Spieler hingegen das Kasino verlässt, dann gibt es an diesem Spieltag nur einen Gewinner.

Derivate werden oft in die Schmuddelecke der Spielcasinos gestellt: Tatsächlich ermöglichen Derivate mit einem geringen Kapitaleinsatz hohe Gewinne, wie wir in späteren Kapiteln sehen werden. Der Hebel ist sehr hoch. Damit weisen Derivate zwangsläufig auch hohe Verlustpotenziale auf. Hier ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Exzessen gekommen. Große Banken gerieten in Schwierigkeiten oder wurden gar insolvent, weil einzelne Händler oder Handelsabteilungen unvorstellbare Verluste mit Derivaten verursacht hatten.[3] Versicherungen mussten hohe Verluste ausweisen, manche wurden gar zahlungsunfähig, weil sie zu hohe Risiken über Derivate eingegangen sind. Andere haben die eingegangenen Risiken nicht einmal verstanden oder erkannt.[4]

Derivative Instrumente stellen eine Gefahr dar, wenn sie falsch oder unwissend eingesetzt werden. Dabei ist die Vorstellung naiv, dass ein Verbot von Derivaten das Problem löst. Keiner kommt auf die Idee Autos zu verbieten, weil jährlich viele tausend Personen unschuldig in Verkehrsunfällen sterben. Hier hilft kein Verbot, sondern Ausbildung und klare Regeln. Das gleiche gilt für Derivate. Das Buch stellt dazu hoffentlich einen Beitrag dar.

2.311Händler (Market Maker)

Die primäre Funktion eines Händlers besteht darin, dass er Ankaufs- und Verkaufspreise[5] stellt. Stellen wir uns vor, dass ein Händler einen Ankaufspreis von 10 € und einen Verkaufspreis von 10,5 € für eine bestimmtes Wertpapier stellt. Demnach kann man beim Händler das Wertpapier zum Preis von 10,5 € kaufen und zu 10 € verkaufen. Da ein Händler handelbare Preise zur Verfügung stellt, wird er im Englischen Market Maker genannt. Wenn ein Händler ankauft oder verkauft sagt man, dass er „eine Position“ eingeht. Kauft er an, hat er eine Kaufposition, verkauft er, hat er eine Verkaufsposition. Eine Kaufposition wird manchmal auch als „Long-Position“ und eine Verkaufsposition als „Short-Position“ bezeichnet. Im Idealfall findet der Händler gleichzeitig einen Käufer und einen Verkäufer. Er würde in diesem Fall einen Handelsgewinn von 0,5 € erzielen. Der wichtigste Erfolgsfaktor eines Händlers ist ein möglichst großes Netz an potenziellen Käufern und Verkäufern der von ihm gehandelten Produkte. Nur so kann er sicherstellen, dass er eine eingegangene Position schnell gewinnbringend schließt.[6]

Ein Händler spekuliert nicht wie ein Spekulant auf Änderungen der Preise, sondern er verdient sein Geld vorwiegend an der Spanne zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis. Natürlich passiert es immer wieder, dass ein Händler unfreiwillig Positionen eingeht, da er nach einem Ankauf nicht unmittelbar einen Käufer findet. Ändert sich bis zum Schließen der Position der Marktpreis seines Produkts, macht er einen Gewinn oder einen Verlust wie ein Spekulant. Dies ist aber nicht die primäre Absicht des Händlers. Er versucht vielmehr durch die Differenz zwischen Ankauf- und Verkaufskurs einen Gewinn zu erzielen.

Details

Seiten
387
ISBN (ePUB)
9783800661466
ISBN (PDF)
9783800661459
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juni)
Schlagworte
Aktien Derivate Finanzierung Forwards Futures Geldanlage Optionen Swaps Wertpapiere

Autor

  • Martin Bösch (Autor:in)

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