Zusammenfassung
Zehn Jahre nach dem Beschluss zur Einführung im Jahr 1998 zieht der "Vater des Euro" eine Zwischenbilanz: Wo sind die Ursachen für den guten Start und bisherigen Erfolg des Euro, und wo liegen mögliche Gefährdungen? Das Buch schildert die Vorgeschichte des Euro, den schweren Abschied der Deutschen von der D-Mark und belegt ausführlich die Gründe, die zum Erfolg des Euro und der Europäischen Zentralbank geführt haben. Der Verfasser beschreibt die Konfliktpotentiale der Währungshüter mit der Politik und die Gefährdungen für den Erfolg des Euro. Kann die Europäische Währungsunion ohne Politische Union überleben?
Der Autor
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otmar Issing war maßgeblich für den Erfolg des Euro verantwortlich. 1998 bis 2006 war er Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Er gilt als Vater der geldpolitischen Strategie der EZB.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Der Euro im Jahre 2008
Heute, im Jahre 2008, ist der Euro die gemeinsame Währung von 15 Ländern mit rund 320 Millionen Einwohnern. Die meisten der übrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verfolgen das Ziel, in mehr oder weniger naher Zukunft ebenfalls dem Euroraum beizutreten. Mit der Ausgabe der auf Euro lautenden Banknoten und Münzen Anfang 2002 sind die ehemals nationalen Währungen aus dem Verkehr verschwunden. Ihre Namen zieren nur noch die Geschichtsbücher. Wenn vereinzelt Politiker in populistischen Attacken die Rückkehr zur nationalen Währung fordern, bestätigt die fehlende Resonanz mehr die irreversible Wirklichkeit der gemeinsamen Währung als eine tatsächlich verfügbare Option.
Auch in weltweiter Perspektive ist der Euro fest etabliert als zweitwichtigste Währung nach dem US Dollar. Auf einigen Gebieten, wie im Anteil an den Weltwährungsreserven mit weitem Abstand, auf anderen, vor allem als Kreditwährung, steht der Euro mehr oder weniger pari mit der amerikanischen Währung. Anleger aus aller Welt schenken dem Euro ihr Vertrauen und legen ihr Geld langfristig in auf Euro lautenden Titeln an. Fest verankerte Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau spiegeln die Wertschätzung eines stabilen Euro wider und sind die Grundlage für historisch außerordentlich niedrige langfristige Nominalzinsen.
Neun Jahre nach seiner Geburt am 1. Januar 1999 kann der Euro auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte zurückblicken. Mit einer jahresdurchschnittlichen Preissteigerungsrate von rund 2 % verdient der Euro das Prädikat einer stabilen Währung. Das gilt sowohl im historischen als auch im internationalen Vergleich.
Diese Erfolgsgeschichte steht in krassem Gegensatz zu vielen Prognosen, die der Einführung des Euro vorausgegangen sind. Die Skeptiker haben entweder den Start der Währungsunion überhaupt ausgeschlossen, ein frühes Scheitern oder zumindest eine inflationäre Entwicklung vorhergesagt. Nichts davon ist eingetreten. Waren also alle Besorgnisse unberechtigt? Kann man einfach davon ausgehen, dass der Euro seine Erfolgsgeschichte fortsetzt?
Es bleibt dabei: Noch niemals vorher in der Geschichte haben souveräne Staaten ihre Hoheit auf dem Gebiet der Währung auf eine supranationale Institution übertragen, während sie gleichzeitig in vielen Bereichen politisch mehr oder weniger autonom bleiben. Nicht von ungefähr sprechen Beobachter daher von einem Experiment, ein Experiment, dessen Ausgang wohl auf längere Zeit im Ungewissen bleibt.
Über die Zukunft lässt sich trefflich spekulieren. Wo aber sind die Ursachen für den guten Start und bisherigen Erfolg zu suchen, und wo liegen mögliche Gefährdungen? Dieses Buch versucht, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
II. Die Vorgeschichte
1. Der steinige Weg zur Währungsunion
Das Projekt einer Europäischen Währungsunion hat eine lange Vorgeschichte, die weit in die Vergangenheit zurückreicht. Man muss nicht unbedingt an die Zeit erinnern, in der im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt ein Kaufmann auf seinem langen Weg von Rom über Colonia Claudia Ara Agrippinensium nach Londinium, den heutigen Köln und London, mit derselben Währung, dem Denar bezahlen konnte. 1600 Jahre später nahm auf der gleichen Route das Münzwechseln und Umrechnen gar kein Ende mehr. In Deutschland, wenn man diese Bezeichnung verwenden darf, übten 100 Territorien ihr Münzprägerecht aus. Man schätzt, dass im Jahre 1790 auf diesem Territorium etwas 1800 Zollgrenzen bestanden. Erst mit der Gründung des Zollvereins im Jahre 1834 fielen die Handelsschranken in Deutschland. Und erst im Anschluss an die politische Einigung im Deutschen Reich 1871 wurde die Münzvielfalt gänzlich beseitigt, die einheitliche Währung Mark eingeführt.
Was könnte der Vergleich dieser Epochen europäischer Geschichte lehren?
Die Periode eines einheitlichen Geldsystems war geprägt durch zwei Bedingungen:
• Die Stabilität der Währung war gesichert durch die natürliche Knappheit des Metalls.
• Einheitliches Geld und politische Einheit im Sinne der Pax Romana gingen Hand in Hand.
Der Verlust der Stabilität des Geldes durch anhaltende Münzverschlechterungen und der Zerfall des römischen Reiches zerstörten die Grundlagen des alten Regimes. Eine einheitliche Währung in Deutschland gab es erst wieder auf der Basis der Goldwährung und der politischen Einheit mit der Gründung des Deutschen Reichs 1870. In anderen Ländern wie Frankreich und Großbritannien hatte der Nationalstaat schon sehr viel früher auch die einheitliche Währung gebracht. Die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung, meist in Verbindung mit Vorstellungen eines politisch vereinten Europas, wurde immer wieder einmal von einzelnen Autoren oder Gruppierungen vertreten. Ernsthafte oder gar aussichtsreiche Initiativen waren aber lange Zeit nicht zu registrieren.
Erst mit der Erfahrung des Schreckens zweier Weltkriege erhielt das Projekt der europäischen Integration neue, entscheidende Impulse. Es ist hier nicht der Ort, die Etappen dieses Prozesses, beginnend mit der Gründung der Montanunion, der Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1952 nachzuzeichnen. Das Ziel einer gemeinsamen Währung spielte dabei jedoch allenfalls im Hintergrund eine Rolle, auch wenn der französische Währungspolitiker Jacques Rueff schon im Jahre 1950 postuliert hatte: „L’Europe se féra par la monnaie ou ne se fera pas.“ (Europa wird über eine gemeinsame Währung geschaffen oder niemals verwirklicht.)
Schon wenige Jahre nach dem Beginn der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahre 1958 wurde dann gelegentlich der Vorschlag unterbreitet, auch in der Währungsintegration voranzuschreiten. Einen konkreten Anlauf unternahmen die Staats- und Regierungschefs auf der Gipfelkonferenz vom 1. und 2. Dezember 1969 in Den Haag. Sie kamen damals überein, „dass im Rat, ausgehend vom Memorandum der Kommission vom 12. Februar 1969 und in enger Zusammenarbeit mit dieser, im Laufe des Jahres 1970 ein Stufenplan für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ausgearbeitet wird“. Die nach dem Vorsitzenden, dem damaligen Ministerpräsidenten von Luxemburg benannte „Werner-Gruppe“ legte ihren Bericht im Herbst 1970 vor, der im Kern einen Stufenplan für eine Wirtschafts- und Währungsunion enthielt. Als Zeitraum fasste man wenig später 10 Jahre ins Auge, nach deren Ablauf das Vorhaben vollendet sein sollte.
Diese ehrgeizige Absicht war im Grunde von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Zum einen sollte das internationale Umfeld in den Folgejahren mit großen Turbulenzen aufwarten. So war mit der Freigabe des DM-Kurses am 19. März 1973 das Festkurssystem von Bretton-Woods endgültig zusammengebrochen, und zwischen den europäischen Partnern gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten über Grundfragen des Wechselkurssystems. Zum anderen arbeitete der Werner-Plan zwar erstmals die notwendige Parallelität zwischen den wirtschaftspolitischen sowie institutionellen Voraussetzungen und der währungspolitischen Konvergenz heraus, doch blieben die Positionen relativ vage und kontrovers. Vor allem aber fehlte es an der politischen Bereitschaft, diese Parallelität auch in konkreter Form voranzutreiben.
Es folgten Jahre dominiert von Wechselkursrisiken auf globaler Ebene wie im europäischen Kontext.[1] Nach einer deutsch-französischen Initiative zur Überwindung des Stillstandes beschloss der Rat am 5. Dezember 1978 das Abkommen über das Europäische Währungssystem (EWS), das am 13. März 1979 in Kraft trat. Im Rückblick markiert dieses Datum einen Wendepunkt in der währungspolitischen Integration. Es bestätigt insoweit die „monetaristische Position“, die vor allem von französischen Kreisen vertreten wurde und auf die im Faktischen wirksamen Konsequenzen vorauseilender währungspolitischer Vereinbarungen setzte. Im Kern lautet die These: Sind erst einmal die Wechselkurse fixiert, wird die weitere monetäre Konvergenz quasi erzwungen. In den anschließenden Währungskrisen, einer nicht enden wollenden Folge von Auf- und Abwertungen, meist verbunden mit harten politischen Auseinandersetzungen, erwies sich freilich die Relevanz der „ökonomistischen Position“, als deren Anhänger wichtige Politiker wie Karl Schiller und so gut wie alle führenden deutschen Ökonomen gelten können. Nach dieser Auffassung schafft die (voreilige) Fixierung von Wechselkursen unvermeidlich Spannungen, die sich schließlich in abrupten, erheblichen Wechselkursänderungen entladen. Wechselkursstabilität kann auf Dauer nur erreicht werden, wenn zumindest die nationale Geldpolitik zuverlässig abgestimmt ist.
Für das Verständnis des weiteren Prozesses der Währungsintegration sind folgende Charakteristika des Europäischen Währungssystems entscheidend:
1. Die European Currency Unit (ECU) steht zwar formal im Zentrum des Systems. Ihre Funktion wurde jedoch entgegen den ursprünglichen Absichten der französischen Seite stark begrenzt (Rechnungseinheit etc.).
2. Die Festlegung der Wechselkurse erfolgt zwischen den beteiligten Währungen („Paritätengitter“).
3. Die Interventionsverpflichtungen wurden entsprechend nicht an die ECU, also einen Währungskorb, sondern an das Paritätengitter gebunden.
Wie sich schon bald herausstellen sollte, erwies sich das EWS damit als ein auf die stärkste Währung gegründetes System, kurzum als „DM-Block“. Nachdem die zweite Ölpreiskrise einen starken Preisdruck ausübte, waren die Konsequenzen dieses Währungssystems bald zu beobachten: Die Deutsche Bundesbank bekämpfte mit einer klaren stabilitätsorientierten Geldpolitik die Inflationsgefahren und ersparte der Bundesrepublik damit eine Wiederholung der Abfolge von Inflation und Stagflation wie im Gefolge der ersten Ölpreiskrise der siebziger Jahre. Die Länder, die in diesem Disinflationsprozess nicht mithalten konnten oder wollten, mussten – gezwungen durch krisenhafte Zuspitzungen bei der Verteidigung der Parität – ihre Währungen immer wieder abwerten. Zur Gefolgschaft in der Geldpolitik mit der Deutschen Bundesbank oder Abwertungen der eigenen Währung gab es in diesem System keine Alternative.
Die zunehmenden Spannungen im Europäischen Währungssystem eskalierten dann in den Krisen der Jahre 1992 und 1993.[2] Anders als beim Ölpreisanstieg verursachte die deutsche Wiedervereinigung einen extrem asymmetrischen individuellen „deutschen Schock“, auf den die Deutsche Bundesbank gemäß ihrem Auftrag mit einer Geldpolitik reagierte, die zunächst den Preisauftrieb zum Halten und anschließend allmählich wieder in Richtung Stabilität brachte.[3]
Der Blick auf die künftige Währungsunion bestärkte die Bundesbank in ihrem stabilitätspolitischen Kurs. „Wer den Fahrplan zur Europäischen Währungsunion als einer Zukunft einheitlichen und stabilen Geldes ernst nimmt, darf sich mit der Inflationsbekämpfung deshalb nicht Zeit lassen, das Ende dieses Jahrzehnts liegt aus dieser Sicht näher, als es mit dem Blick auf den Kalender scheinen mag. Gerade in Deutschland gilt es Befürchtungen in der Bevölkerung auszuräumen, das künftige europäische Geld könne sich als weniger wertstabil erweisen als die D-Mark. Wahrung der Geldwertstabilität liegt deshalb mehr denn je nicht nur im nationalen Interesse, sie ist gleichzeitig auch ein wichtiger und unverzichtbarer Beitrag zur Verwirklichung der Europäischen Währungsunion.“[4]
Die Erfahrungen dieser Periode bestätigen die Theorie des so genannten „uneasy triangle“, nach dem von den drei Zielen Wechselkursstabilität, Preisstabilität bzw. nationaler Geldpolitik und freier Kapitalverkehr immer nur zwei gleichzeitig erreichbar sind. Da Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit den Prinzipien eines gemeinsamen Marktes nicht vereinbar sind – von wichtigen anderen Einwänden wie der Praktikabilität von Kapitalverkehrskontrollen ganz abgesehen – bleiben also nur die beiden anderen Ziele für die Wahl offen. Die Option flexibler Wechselkurse wurde im Rahmen der Europäischen Integration nie ernsthaft erwogen.[5] Das Regime fester, aber durch abrupte Auf- und Abwertungen veränderbarer Wechselkurse, wie es im EWS verkörpert war, hatte sich jedoch im Laufe der Zeit als derart krisenanfällig erwiesen, dass es nur eine Frage der Zeit schien, bis die jeweils nächste Krise möglicherweise noch größere abrupte Veränderungen der Wechselkurse erzwingen würde. Sowohl die Dimension wie die Flexibilität des international beweglichen Kapitals sprengten alle aus der Vergangenheit bekannten Grenzen.
In den Turbulenzen 1992/93 hatte die Abwertung der italienischen Lira um mehr als 30 % gegenüber der D-Mark zu schlagartigen Veränderungen der Wettbewerbspositionen im gegenseitigen Handel geführt, so dass ernsthaft einzelstaatliche Abwehrmaßnahmen diskutiert wurden. Mehr und mehr bestand die Gefahr, dass in der nächsten Währungskrise wesentliche Errungenschaften der wirtschaftlichen Integration, wie der freie Austausch von Gütern, Diensten und Kapital bedroht waren.
Damit stand aus dem dreifachen Zielkatalog im Grunde „nur“ noch die Geldpolitik zur Disposition.[6] Die Lösung über die Leitwährungsrolle eines Landes war offenkundig auf Dauer nicht tragbar. Dagegen sprachen zum einen politische Gründe. Insbesondere die größeren Länder des EWS wollten auf Dauer nicht hinnehmen, dass sie die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank mehr oder weniger eins zu eins umsetzen mussten. Für die Bundesbank war es zum anderen wiederum unmöglich, eine an „europäischen Zielen“ orientierte Geldpolitik zu verfolgen. Dies hätte zum einen das Souveränitätsproblem der anderen Länder nicht gelöst, zum anderen hätte die Bundesbank damit weder ihren nationalen Auftrag gemäß dem Gesetz erfüllen können noch hätte es für eine solche Orientierung der Politik eine tragbare politische, empirische und theoretische Grundlage gegeben.[7]
In der Logik des Prozesses standen als Endpunkt mehr oder weniger nur die beiden „Ecklösungen“ zur Verfügung: Flexible Wechselkurse oder der Weg in die gemeinsame Währung. Die Gründung des EWS im Jahre 1979 hatte also in der Tat die Weichen für eine gemeinsame Währung gestellt. Insofern können sich die Anhänger des Festkurssystems bestätigt fühlen, die von Anfang an dieses Endziel im Auge hatten. Der Rückblick auf die Krisen der 80er und 90er Jahre legt freilich auch die außerordentlich hohen Risiken offen, die auf diesem Wege zu überwinden waren. Und: Keineswegs alle Ursachen für die Krisen in der Vergangenheit sind mit dem Eintritt in die Währungsunion quasi automatisch beseitigt. Die Gründung einer supranationalen Notenbank und die Vergemeinschaftung der Geldpolitik lösen zunächst nur einmal das Trilemma des „uneasy triangle“. Für den Erfolg der gemeinsamen Geldpolitik und den sicheren Fortbestand der Währungsunion bedarf es weiterer Anstrengungen. Doch dazu später mehr.
2. Entscheidung in Maastricht
Die endgültige Entscheidung über Verfassung und Start der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fiel auf dem Gipfeltreffen am 9. und 10. Dezember 1991 in Maastricht. Vorausgegangen waren intensive Vorbereitungen und Verhandlungen auf allen Arbeitsebenen. Maßgeblich waren vor allem zwei Gremien.
Dies war zum einen der Rat der Notenbankgouverneure. Ihm gehörten die Gouverneure der Notenbanken der Mitgliedsländer der EU an. Er tagte unter dem Vorsitz des Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl und hatte einvernehmlich den Entwurf eines Statuts für eine Europäische Zentralbank ausgearbeitet. Dieser orientierte sich weitgehend am Gesetz über die Deutsche Bundesbank. Die Gouverneure hatten sich u.a. für das Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ in Fragen der Geldpolitik ausgesprochen.
Details
- Seiten
- 220
- ISBN (eBook)
- 9783800643813
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2012 (Oktober)